Wahre Schönheit kommt von innen. Nirgendwo trifft das besser zu als beim Palazzo Reale (Normannenpalast) in Palermo. Der von Normannenkönig Roger II im mittelalterlichen Stadtkern erbaute Palast hütet einen funkelnden Schatz im Inneren: die Palastkapelle "Cappella Palatina". In diesem Artikel erfahren Sie, warum sie als schönste Hofkapelle der Welt gilt.
von: Eugenio Rusignuolo | 07 Dez 2021
Wenn Sie auf dem Corso Vitorio Emanuele die Kathedrale zu ihrer rechten hinter sich lassen, folgt auf der linken Seite nach einigen Metern bergauf der Normannenpalast (Palazzo dei Normanni oder Palazzo Reale).
Die Wurzeln des historischen Gebäudes reichen bis in die Antike zurück. Bei Ausgrabungsarbeiten wurden unter dem Palast Mauerreste einer römischen Festungsanlage entdeckt. Einen Teil dieser Ausgrabungen können Sie heute im Außenbereich des Palastes besichtigen.
Die ältesten Bauteile des heutigen Palastes stammen aus dem 9. Jahrhundert, als Sizilien unter arabisch-muslimischer Herrschaft stand. Der Emir von Palermo ließ auf den alten Festungsfundamenten eine Burg errichten, die in erster Linie als militärische Festung diente. Im Arabischen wurde sie "Qasr" genannt.
Im 11. Jahrhundert eroberten die Normannen Palermo und übernahmen die Macht in der Stadt. Roger II. erwählte die arabische Burganlage zu seiner Herrscherresidenz und gab unmittelbar umfangreiche Bauarbeiten in Auftrag.
Ein Großteil der heute erhaltenen architektonischen Elemente stammt aus dieser Zeit. Dazu zählt etwa die "Stanza di Ruggero", das Privatzimmer von König Roger.
Seine Wände sind mit Marmor getäfelt, die Decke aufwendig mit Goldmosaiken dekoriert. In der Mitte des Saales befindet sich eine weitere Kostbarkeit, ein Tisch aus versteinertem Sequoia-Holz.
Ebenfalls erhalten ist die "Sala dei Venti", der Saal der Winde. Ursprünglich handelte es sich dabei um ein offenes Atrium, das den Vorraum zu Rogers Privatzimmer bildete. Erst später wurde der Raum mit einer Holzdecke versehen, die von mehreren Säulen und Spitzbögen getragen wird.
Auch die charakteristischen Blendarkaden im Außenbereich des Palastes gehen noch auf die Zeit der Normannen zurück.
Die Hauptattraktion des Normannenpalastes ist aber zweifellos die Hofkapelle, die sogenannte Cappella Palatina. Wer es nicht weiß, ahnt von außen nicht, dass sich inmitten des Palastes ein solch funkelnder Schatz befindet. Lassen Sie sich also nicht von der schlichten Fassade oder dem hohen Eintrittspreis auf keinen Fall davon abhalten, den Palast von innen zu besichtigen.
Die Kapelle wurde zwischen 1132 und 1140 im Auftrag von Roger II. errichtet und gehört heute, noch 900 Jahre nach ihrer Entstehung, zu den außergewöhnlichsten Bauwerken der Welt.
Fakten zur Cappella Palatina:
Bevor wir uns das Interior im Detail anschauen, für welches die Kapelle weltberühmt ist, gehen wir noch einmal zwei Jahre zurück in das Jahr 1130. Roger II. hat Palermo gerade zu seinem Hauptsitz gemacht und bezieht die alte arabische Festung als Regierungssitz. Für ihn ist es wie für jeden christlichen Herrscher nun die Pflicht, seiner Krone einen sakralen Rahmen zu geben und so lässt er eine erste Kapelle bauen.
Diese ist jedoch noch nicht die heutige Cappella Palatina, nein. Es ist vielmehr eines der Details der jetzigen Kapelle, dass sie direkt über jener ersten gebaut wurde. Heute dient die unbekanntere erste Kapelle als unterirdische Krypta, die jedoch für Besucher*innen unzugänglich ist. 1130 jedenfalls ist sie die erste Kapelle des Palastes und der Ort, an dem Roger II. zum König gekrönt wird.
Um Gott für seine irdische Krone zu danken, beschließt der neu gekrönte normannische Herrscher, dass eine weitere neue Kapelle errichtet und das großartigste Bauwerk werden soll, dass jemals zu Ehren Gottes gebaut wurde.
Doch es ist nicht allein die Optik, welche die Cappella Palatina später und noch heute zu einem besonderen Bauwerk und zur schönsten Hofkapelle der Welt macht. Es ist die Botschaft von Roger II. die ihr, visuell in jede Ecke der Kapelle manifestiert, einen besonderen Stellenwert in der Geschichte gibt. Um die Bedeutung des Bauwerks besser zu verstehen, versetzen wir uns kurz in die damalige Zeit zurück.
Diese Zeit ist geprägt von Glaubenskriegen, von Eroberungen und Massakern. Die Herrschaft des neuen Königs ist zudem umstritten. Er ist ein junger Mann, ein Fremder in Palermo, Normanne und hat zudem nur verhältnismäßig wenige Männern in seiner Gefolgschaft. Seine neuen Untertanen in Palermo sind hingegen Araber, Griechen, Juden, Albaner, Alexandriner oder sogar Perser.
Der junge Herrscher weiß, dass er dieses explosive Völkergemisch auf Sizilien nicht auf Dauer mit Gewalt kontrollieren wird können und entscheidet sich für eine für diese Zeit ungewöhnliche Politik. Er verkündet ein Zeitalter der Toleranz. Seine Vision ist es, dass jedes Volk, jede Religion ihren Platz in seinem Reich haben und Palermo zu einem aufgeklärten Ort der Glaubensfreiheit werden soll.
Seinen Toleranzerlass lässt er sogleich in drei Sprachen verfassen und als Signal an die Anhänger der verschiedenen Religionen an den Wänden seiner Kapelle verewigen: auf Arabisch, Latein und auf Griechisch.
In einer Zeit, in der ein Großteil der Bevölkerung nicht lesen kann, sind Abbildungen ein wichtiges und eindrucksvolles Mittel, um die Bevölkerung zu erreichen und die Vision der Toleranz zu vermitteln. Die Palastkapelle als visuelles Medium ist von Beginn an Schaubild der Philosophie Roger II. und erfüllt diese kommunikative Funktion in Perfektion.
Bekannt ist die Cappella Palatina vor allem für ihre üppigen Goldgrundmosaike, die eine Reihe von Szenen aus dem Alten und Neuen Testament zeigen.
Nach Ansicht der Kunsthistoriker sind die Fertigkeit und die Ästhetik, die die Mosaiken der Kapelle auszeichnen nirgendwo sonst erreicht worden.
Gold und Silber wurden in feinen Blättern in das Glas eingearbeitet und verleihen ihm seinen strahlenden Glanz. Und weitere kostbare Materialien wie Marmor oder Serpentin schimmern dort, wo kein Gold oder Silber verwendet wurde.
In der Kuppel der Kapelle ist Christus als "Pantokrator" - also als Weltherrscher - dargestellt, umringt von acht Engeln.
An den Seitenwänden finden sich in chronologischer Reihenfolge Episoden aus dem Alten Testament, beginnend mit der biblischen Schöpfungsgeschichte. Es werden zudem wichtige Stationen aus dem Leben von Christus und Paulus in Szene gesetzt.
Während die Wände des Hauptschiffs dem christlichen Glauben vorbehalten sind, soll die Decke dagegen der Vielfalt der Kulturen gewidmet werden, die nach dem Willen von Roger II. unter seiner Herrschaft gemeinsam existieren sollen. Roger II. lässt dafür Handwerker aus Marokko und Libyen kommen, um die Vollholzdecke der Kapelle zu gestalten.
Die Decke ist ein nie zuvor gesehener Triumph der Holzschneidekunst. Die Rahmen, die von den nordafrikanischen Schreinern in aufwendiger Kleinarbeit geschnitzt werden, enthalten waben- und Stalaktit förmige Strukturen. Diese werden anschließend von ägyptischen Künstlern ausgemalt und zeigen weltliche Motive wie Freiheit, Tanz, Freude, Musik oder Spiel.
Und auch ein Abbild des Herrschers ist in der Kapelle verewigt. Achten Sie auf das Abbild von Roger II. Dessen Haltung ist so dargestellt, dass sie jedes seiner Völker anspricht. So ist er mit eine Krone, seinem Bart, seinen langen Haaren und dem Wein, dass das Blut Christi symbolisiert, als christlicher Herrscher erkennbar. Aber er sitzt auch auf orientalische Art mit gekreuzten Beinen auf dem Boden.
Eindrucksvoll ist auch der kostbare Marmorboden der Kapelle mit seinen verschlungenen Mustern. Purpur gilt dabei als die Farbe der Mächtigen in der Antike. Der purpurnste und zugleich kostbarste Marmor ist der aus Ägypten kommende Porphyr. Roger II. lässt ihn in großen Platten in den Wänden und im Boden der Kapelle anbringen und illustriert damit die Bedeutung des Ortes als einer Stätte zentrierter Macht.
Wenn Sie vor dem Hauptaltar stehen, schauen Sie sich die Marmorplatten davor an. Hier ist der Platz von Roger II. während der Messe auf der größten Porphyr Platte vorgesehen gewesen. Sie liegt bewusst unter dem Bild von Christus in der Kuppel.
Die Bilder der Kapelle bergen viele Details, die sich nur dem Blick des Eingeweihten erschließen, aber bemerkenswert sind Drei davon stellen wir Ihnen im Folgenden vor.
Auf dem Boden links und rechts vom Hauptaltar wachen geschlängelte Drachen symbolisch über die Zeit. Die beiden Drachenkörper in Form einer liegenden acht sollen den Ort mit der Ewigkeit, dem Unendlichen, verbinden. Das Symbol dafür ist auch damals schon die acht.
Ein Detail, das nicht sofort ins Auge fällt, aber auf einen erstaunlichen Fakt verweist, ist die Darstellung der Erde auf einem Mosaikbild. Zu der damaligen Zeit glaubte man allgemein noch, die Erde sei flach, aber Roger lässt sie als rund darstellen, lange bevor dies allgemein wissenschaftlich anerkannt ist.
Das Wissen darüber hat er von dem Araber al-Idrisi, den gelehrtesten Astronomen dieser Tage. Der Kartograph, Geograph und Botaniker legt Roger II. Manuskripte vor, die aus dem alten Ägypten stammen und belegen, dass die ägyptischen Herrscher bereits zwei Jahrhunderte vor Christus davon ausgingen, dass die Erde rund sei.
Die Modernität von Roger II. zeigt sich in allen Details der Kapelle und begeistert Kunsthistoriker bis heute. Einige Mosaiken revolutionierten die Kunst ihrer Zeit. Vor allem das Mosaik vom Einzug Christi in Jerusalem fasziniert bis heute. Die perspektivische Darstellung des Einzugs nahm die Regeln der italienischen Renaissance vorweg, die erst zwei Jahrhunderte später das Menschenbild Europas verändern wird.
12 Jahre lang stellen die Handwerker ihre Kunst in den Dienst Roger II. und seiner Botschaft. Im Jahre 1142, also 2 Jahre nach der Weihung, sieht er, mit den fertigen Mosaiken im Altarraum, sein Werk vollendet.
Um das Ereignis zu feiern, lässt Roger II. es auf einem Marmorblock und aus Respekt vor den anderen Religionen gemäß deren Kalendern verewigen. Für die Christen das Jahr 1142 in Latein, für die Juden das Jahr 6650 in Griechisch und für die Muslimen das 536 auf Arabisch.
Nach dem Niedergang der Normannenherrschaft verfiel der Palast, bis er im 16. Jahrhundert durch die spanischen Vizekönige wiederentdeckt und restauriert wurde. Aus dieser Zeit stammen die Fassaden und Malereien im Renaissance-Stil.
Bis ins 19. Jahrhundert hinein fanden immer wieder Renovierungs- und Umbauarbeiten statt. Der Normannenpalast weist heute daher sehr unterschiedliche Stilelemente aus verschiedenen Kulturen und Epochen auf.
Die spanischen Vizekönige ließen drei der ursprünglich vier normannischen Türme abtragen, erhalten blieb nur der sogenannte "Torre Pisana“.
An den Torre Pisana schließt links die Renaissance-Fassade an der Ostseite des heutigen Palastes mit dem großen Eingangsportal in der Mitte an.
Unser Tipp:
Vor dem Renaissanceflügel befindet sich der Park der Villa Bonanno mit dem sehenswerten Denkmal Phillip V. aus dem Jahr 1661.
Nutzen Sie die Anlage für einen Spaziergang und die Statue mit dem Palast im Hintergrund für ein Foto.
Die früheren militärischen Anlagen wurden zur Zeit der spanischen Vizekönige abgebaut. Dafür entstand eine Reihe weiterer Elemente im Renaissance-Stil. Dazu zählt etwa die "Sala de Ercole", der Herkulessaal. Er dient seit 1946 als Sitzungssaal des Parlaments. Besucher können ihn heute bei Führungen besichtigen.
Ebenfalls aus der Zeit der Vizekönige stammt die Porta Nuova, ein herrliches Tor im Westen des Palastes.
Darüber hinaus wurden die Innenhöfe mit ihren prachtvollen Säulengängen ab dem 16. Jahrhundert neugestaltet.
Die Kapelle des Normannenpalastes in Palermo erstaunt die Welt noch immer durch ihre visuelle Schönheit und die unerreichte Fülle ihrer Mosaiken und ihrer Decke.
Es ist ein Werk, mit dem Roger II. eine Brücke zwischen den Völkern gebaut hat und in das Details eingeflossen sind, die ihrer Zeit voraus gingen. Kunsthistoriker sind sich einig, dass in seinem aufgeklärten Königreich von Sizilien und Neapel damit die Geburtsstunde der italienischen Renaissance stattfand.
Als „die schönste Kapelle der Welt“ hatte schon der französische Schriftsteller Guy de Maupassant die Cappella Palatina bezeichnet. Wir schließen uns ihm an und empfehlen Ihnen einen Besuch, wenn Sie in der sizilianischen Hauptstadt sind.
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